Annalena Bauer ist erfolgreiche Sportlerin im Ju-Jutsu. Die Liebe zu ihrem Sport und das wiederholte Aufstehen nach Rückschlägen hat sie heute an die Weltspitze gebracht. Sie trifft aber auch immer wieder auf Menschen, die ein falsches Bild ihres Sports haben und sich Frauen im Kampfsport nicht vorstellen können.
In einem Interview erzählt uns Annalena wie sie die Leidenschaft zum Ju-Jutsu fand und welchen Vorurteilen sie sich als Frau im Kampfsport stellen muss.
“Als ich klein war, habe ich immer das gemacht, was mein großer Bruder gemacht hat. Deshalb landete ich auch mal beim Fußball. Mit 6 Jahren wurde er vom Ergotherapeuten zum Judo geschickt. Natürlich habe ich das dann auch machen wollen. Allerdings sind nach und nach immer mehr Kinder abgesprungen, die mit mir zusammen damit angefangen hatten. Für eine Zeit verlor ich deswegen die Motivation, aber mein Papa hat mich als Vereinsvorstand dazu motiviert weiterzumachen und so bin ich dran geblieben. Nach diesem kleinen Tief wurde ich erst richtig erfolgreich und gewann 2007 die Süddeutsche Meisterschaft in der U14. Dann haben mein großer Bruder und zwei andere Freunde mit Ju-Jutsu angefangen und als ich 13 Jahre alt war, durfte auch ich damit beginnen.”
Im Judo gestartet, konnte Annalena bereits zu Beginn ihrer sportlichen Laufbahn auch im Ju-Jutsu einige Erfolge feiern. Lange betrieb sie die beiden Kampfsportarten parallel auf höchstem Niveau.
“Ju-Jutsu fiel mir von Anfang an sehr leicht, da ich durch das Judo bereits zwei Teilbereiche beherrschte: das Werfen und den Bodenkampf. Mein erstes Turnier im Ju-Jutsu startete ich bereits ein Jahr später und ich gewann alle Kämpfe vorzeitig. Noch ein weiteres Jahr später kämpfte ich mein erstes internationales Turnier im Ju-Jutsu und wurde Fünfte, auf der Deutschen Meisterschaft Dritte. Deswegen wurde ich zur Bundeskader Sichtung 2010 eingeladen. Seitdem bin ich in der Nationalmannschaft im Ju-Jutsu.
Parallel habe ich bis 2015 auch noch nationale und internationale Turniere im Judo gekämpft und wurde vom Bundestrainer im Judo angesprochen. Allerdings hätte ich für die Nationalmannschaft nach München an den Olympiastützpunkt ziehen müssen, was ich nicht wollte, da ich ein sehr großer Familienmensch bin und nicht mehrere Stunden von meiner Heimat entfernt sein wollte. Außerdem hatte ich bis zu dem Gewinn meiner Bronzemedaille bei der Deutschen Meisterschaft 2010, kaum Unterstützung vom Judo Landeskader Bayern bekommen. Und dann war da ja noch der Bundeskader im Ju-Jutsu, dem ich seit Anfang 2010 angehörte. Im selben Jahr im Mai erkämpfte ich meine erste Goldmedaille bei der Jugend-Europameisterschaft. Das machte zwar die Entscheidung zwischen den beiden Sportarten nicht unbedingt leicht, lenkte mich aber in eine Richtung. Zum Ju-Jutsu.
In den folgenden Jahren konnte ich jeden Titel im Ju-Jutsu gewinnen, den es in der Jugend zu erreichen gab, darunter zweimal Jugend- Europa- und Weltmeisterin. 2014 machte ich einen Doppelstart in der Jugend und bei den Erwachsenen. Der Schritt zu den Erwachsenen war zwar gewaltig, trotzdem gewann ich in dem Jahr die Silbermedaille beim Grand Slam Turnier in Paris, die Goldmedaille beim Grand Slam Turnier in Gelsenkirchen und erreicht den 5. Platz bei der Weltmeisterschaft. Das alles wäre jedoch damals wie heute nicht möglich gewesen ohne meine Eltern. Sie haben mich bei allem, was ich tat und jeder Entscheidung, die ich ich traf, immer voll und ganz unterstützt.”
Seither konnte Annalena viele Erfolge auf nationaler sowie internationaler Ebene feiern. Dabei hat sie aber immer wieder nicht nur mit ihren Gegnern auf der Matte sondern auch mit Vorurteilen, die ihrem Sport gegenüber gebracht werden zu kämpfen.
“Die meisten Leute kennen eben Karate aus Filmen oder Boxen aus dem Fernsehen. Judo, geschweige denn Ju-Jutsu ist ihnen weniger ein Begriff. Schon früher als ich mit Judo anfing, haben alle gedacht: “Oh Kampfsport, da schlägst du dich bestimmt.” Aber im Judo wird nicht geschlagen. Beim Ju-Jutsu stimmt das schon eher, da darf man schlagen, aber die meisten denken dann an das K.O. beim Boxen. Im Ju-Jutsu ist aber der Rumpf die Haupttrefferfläche. Man darf auch seitlich an den Kopf treten oder schlagen, aber nur mit offenen Händen, also keiner Faust. Zu harter Kontakt, unkontrollierte Techniken oder anderes Zuwiderhandeln wird zudem im Wettkampf bestraft. Ziel im Ju-Jutsu ist es, eine große Wertung in jedem Part zu erlangen, um vorzeitig zu gewinnen. Part 1 ist Treten/Schlagen, Part 2 Werfen, Part 3 Halten/ Hebeln/ Würgen. Eine große Wertung bekommt man nur, wenn die Technik dynamisch, präzise und kontrolliert ausgeführt wird.
Das Schöne am Ju-Jutsu ist, dass es Kampfsport und Selbstverteidigung beinhaltet. Im Leistungssport ist es der Kampfsport, im Breitensport mehr Selbstverteidigung/Kampfkunst. Aus dem Japanischen übersetzt heißt “Ju-Jutsu” “sanfte Kunst”.“
Und dann ist da ja auch noch das Thema Frauen und Kampfsport. Annalena ist sicherlich nicht die einzige Kampfsportlerin, die sich mit unqualifizierten Sprüchen rumschlagen muss. Aber sie nimmt es professionell.
“Ein typischer Spruch von Kerlen, der immer kommt: “Ach, dann kannst du mich ja flachlegen?!” Rein theoretisch könnte ich das auch, aber leider ist diese Äußerung einer Frau gegenüber sehr abwertend meiner Meinung nach, weshalb ich da oft etwas gereizt reagiere, wenn das der erste Satz zu dem Thema ist. Ich erkläre dann immer, dass ich das theoretisch könnte, aber garantiert nicht machen werde. Erzähle dann von Hebel- und Würgetechniken und dass ich schon, seit ich 13 bin, mit Männern trainiere, die bis zu 40 kg schwerer sind als ich und gegen mich teilweise wenig Chancen im Übungskampf haben. Dann sind die “Großmäuler” meistens still und nur die, die sich wirklich für den Sport interessieren, fragen dann noch nach, worauf ich immer sachlich antworte, weil Judo und Ju-Jutsu eben doch eher unbekannte Sportarten sind und ich gerne darüber aufkläre.”
Am Meisten liebt Annalena die Vielseitigkeit ihres Sports. Man arbeitet dabei im Zweikampf, aus der Distanz oder der Nähe, im Stand oder am Boden; erlaubt sind schlagen, treten, werfen, halten, hebeln, würgen; es ist von allem etwas dabei.
“Genau das ist es, was ich an dem Sport so schätze und was ein guter Athlet braucht, egal ob Mann oder Frau, die Vielseitigkeit!”
Heute sind ihre Ziele klar gesetzt. Nach vielen nationalen wie internationalen Erfolgen, und einem Platz an der Spitze der Weltrangliste, will sie sich endlich den Traum der World Games erfüllen. Ihren Sport vereint sie mit ihrem Beruf als Physiotherapeutin. Dieser Alltag zwischen Spitzensport und einem Vollzeitjob ist nicht immer einfach. Doch sie konnte ihre Trainings- und Arbeitszeiten aufeinander abstimmen, da ihr Chef als ehemaliger Leistungssportler Verständnis hat.
“Für mich steht der Sport schon seit vielen Jahren im Fokus. Allerdings ist mir ebenso ein zweites Standbein sehr wichtig, da ich von meinem Sport leider nicht leben kann, sondern sogar ziemlich viel drauflegen muss. Aber es ist meine Leidenschaft und dafür macht man so einiges. Für mich war es schon immer wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen, was nicht immer leicht war.”
Über Annalenas Weg, mit all den Höhen und Tiefen lest ihr im 2. Teil der Geschichte über eine leidenschaftliche Kämpferin, die sich egal durch welchen Rückschlag nicht hat unterkriegen lassen und ihr Glück selbst in die Hand nahm.
Foto Startseite: Ju-Sports
Autor
louisa
Autorin und Mitgründerin von Athlet.one
Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung im Spitzensport hat Louisa De Bellis den Durchblick in der Welt der Athlet:innen. Als ambitionierte Handballerin ist sie in der deutschen Sportlandschaft bestens vernetzt, führt Interviews mit Sportler:innen und teilt ihre Expertise auf Athlet.one!