Ammar Kamel: “Probiert alles und gebt 110%.”

Der zweite Teil der bewegenden Geschichte des leidenschaftlichen syrischen Radrennfahrers in Deutschland

Im ersten Teil der Geschichte des jungen Radrennfahrers Ammar Kamel: “Ich hatte die Wahl zwischen meinem Koffer mit all meinen Sachen und meinem Fahrrad. Ich habe mich für mein Fahrrad entschieden.” haben wir erzählt von dem besonderen und langen Weg des Sportlers aus Syrien in eine Zukunft, in der er seine Leidenschaft endlich ohne Gefahren ausüben kann. Der ambitionierte Radsportler wünscht sich auch das Bild, welches leider immer noch einige Menschen in Deutschland von Flüchtlingen haben, durch Geschichten wie seine, zu verändern. 


Am 5. Februar konnte Ammar seinen Vater endlich wiedersehen. In Deutschland. In dem Land in dem sein großes Vorbild lebt, der Radrennprofi und mehrfacher Weltmeister Tony Martin. Sein eigenes Rad das er anstelle seiner Kleidung mit nach Deutschland nahm, ist auf der Reise kaputt gegangen. So stand der junge Sportler einen Monat später mit einem alten geliehenen Rad eines Nachbars und geliehenen Klamotten bei seinem ersten Training des TSV Betzingen. Für Ammar war es einfach überwältigend wieder auf ein Rad zu steigen.  

“Ich wollte einfach auf ein Rad und wieder trainieren. Dass mein Fahrrad ziemlich alt und zu klein für mich war, war mir dabei völlig egal.”


Besonders Dietmar Viesel, der bei der Vereinsausfahrt dabei war und selbst 25 Jahre lang aktiven Radrennen fuhr, war von dem Mut und dem Talent des jungen Radfahrers begeistert. Vor allem die klaren Ziele die Ammar benannte beeindruckten ihn. 

“Ich habe gesehen, wie schwer sich Ammar an diesem ersten Training tat. Zudem dass er 8 Monate nicht ein einziges Mal auf ein Fahrrad steigen konnte, hatte er kein so gutes Equipment wie die anderen in der Gruppe. Ich erinnere mich dass es wirklich kalt war und Ammar muss unglaublich gefroren haben. Aber er hat die 120 Kilometer durchgezogen. Sein Fokus, seine Leidenschaft und sein Durchhaltevermögen beeindrucken mich bis heute.” 


Er beschloss den Jungen mit seinen großen Zielen fortan zu unterstützen. Nicht nur in sportlicher Hinsicht wurde er in der darauffolgenden Zeit Coach, Mentor und vor allem ein Freund von Ammar. Dietmar Wiesel ging mit ihm zu Ämtern und begleitet ihn bis heute bei all seinen Zielen und Träumen. Auch sonst ist Ammar dankbar welche Unterstützung er besonders in dieser Anfangszeit in Deutschland bekam. Ein neues Carbon Rennrad bekam er beispielsweise von dem Chef des Fahrradladens Hardys, der ebenfalls bei seiner ersten Ausfahrt dabei war. Knappe 3 Monate später fuhr er damit erfolgreich sein erstes Rennen in Deutschland.

Ammar trainierte von da an sehr hart und konnte bei allen Rennen an denen er in diesem Jahr teilnahm Top10 Plätze erreichen. Auch im darauffolgenden Jahr 2017 konnte er seine Leistung stetig verbessern. Mit der syrischen Nationalmannschaft durfte er in diesem Jahr auch an seiner ersten internationalen Rundfahrt in Algerien teilnehmen. Für ihn eine tolle Erfahrung, bei der er die Möglichkeit hatte mit Profis zu fahren. Aber auch in der lokalen Rennszene schaffte es Ammar andere Teams durch seine Ergebnisse auf ihn aufmerksam zu machen.  

Es folgte 2018 das Angebot eines Rennteam aus Ludwigsburg, bei denen er für die Aktiven fahren durfte und dort einige Top10 Plätze sammelte. Durch seine Erfolge stieg er in die Eliteklasse auf, die höchste Amateurklasse in Deutschland.

2019 dann der Schritt in die Bundesliga. Mit dem Angebot des Münchner Rad-Teams von Magnesium Pur für die Ammar seither aufs Rennrad steigt, ging für ihn der nächste große Traum in Erfüllung. Geprägt hat ihn dabei auch seine erste Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften im Juni 2019 und besonders ein Gegner in diesem Rennen. 

“Es war mein Traum einmal Tony Martin sehen zu können. Ich hätte aber niemals gedacht, dass ich eines Tages mit ihm an einer Startlinie für ein Rennen stehen darf.“


Ein unglaublich wertvoller Moment, der ihm sehr viel bedeutet, wie Ammar erzählt. Gewonnen hat das Rennen sein großes Idol. Ammar hatte auf der Strecke ein Defekt an seinem Rad. Das Rennen selbst war für ihn also alles andere als gut gelaufen, aber der Traum der an diesem Tag in Erfüllung gegangen ist, war ihm in diesem Moment viel mehr wert. 

Ammar Kamel und Tony Martin - Deutsche Meisterschaften
Ammar und sein großes Vorbild Tony Martin nach dem Rennen um die Deutsche Meisterschaft



Das Jahr 2019 stellte für den jungen Sportler ein durchweg erfolgreiches Jahr mit vielen guten Platzierungen und Podestplätzen dar. Auch seine Elite Klasse konnte er halten und an einer weiteren internationalen Rundfahrt, diesmal in Malaysia teilnehmen. Auch in diesem Jahr führt er sein Training weiter und ist besonders dankbar für die Unterstützung der Marke UltraSports die ihn seit einem Jahr begleiten. Als nächstes Ziel hatte Ammar die Asienmeisterschaften im März geplant. Diese mussten jedoch wie auch alle anderen anstehenden Rennen in der nächsten Zeit abgesagt werden. Dennoch hofft er darauf, dieses Jahr noch einige Möglichkeiten bei Rennen zu haben, um sich für ein Profivertrag für das nächste Jahr zu empfehlen. 

“Wenn es wieder Rennen gibt, will ich angreifen und sehen was für mich weiter drin ist.” 


Aber auch abseits seines erfolgreichen Wegs auf dem Rad ist Ammar fokussiert und hat klare Ziele für die er arbeitet. Er erinnert sich, dass besonders die Anfangszeit in Deutschland für ihn nicht einfach war. 

“Englisch und Französisch kannte ich aus der Schule aber ich habe noch nie in meinem Leben zuvor Deutsch gehört. Ich bin durch die Stadt gelaufen und habe kein einziges Wort verstanden. Das war nicht schön. Da findest du natürlich auch keine Freunde und es war alles sehr fremd für mich.”


Dem heute 22 Jährigen war schnell klar, dass er sich in die Gesellschaft integrieren wollte und nur mit Englisch nicht weiterkommen würde. Er begann einen Deutschkurs und lernte viele Stunden am Tag. Bald fing er an die Menschen um sich zu verstehen. 

“Für den Supermarkt hat das schon gereicht, aber ich wollte mehr. Ich wollte aufs Gymnasium. Mein Abitur machen. Studieren.” 


Entgegen der Zweifel die ihm entgegengebracht wurden, wurde er durch die Hilfe einer befreundeten deutschen Familie im September 2017 am Gymnasium in Reutlingen aufgenommen. Man versicherte ihm, dass er vermutlich die 10. Klasse wiederholen müsse, doch Ammar überraschte alle mit seinem Fleiß und seinem stetigen Streben besser zu werden. Trotz dem hohen Aufwand den er bereits in seinen Sport investierte und der zusätzlichen Schwierigkeiten für ihn als gerade erst Deutschlernenden, bestand er auf Anhieb die 10. Klasse und bekam ein Stipendium des Programms “Talent im Land”. Ammar ist immer noch dankbar, über die Möglichkeiten die er dadurch erhielt. Er konnte so sehr viele Menschen kennenlernen und es stellte für ihn eine große Chance dar, um sich in die Gesellschaft zu integrieren.

Im April 2019 schrieb er nach gerade einmal 3 Jahren in Deutschland erfolgreich sein Abitur. Für Ammar, so sagt er, war 2019 das wichtigste Jahr in seinem Leben. Nach seinem bestandenen Abitur wurde er in der Friedrich-Naumann-Stiftung für ein Stipendium aufgenommen. Im Sommer bewarb er sich dann auf den Studiengang Medizintechnik an der Universität Tübingen, bei dem es jedes Jahr nur 100 Plätze gibt. Der Traum dieses Studiums hatte der ambitionierte Sportler bereits in Syrien und irgendwann möchte er in dieser Richtung auch in der Forschung tätig sein.

“Als die Zusage der Uni Tübingen kam, war das einer der besten Tage in meinem Leben. 2019 war ein sehr besonderes Jahr für mich. Ich bin erfolgreich in meinem Sport, fahre in einem Bundesliga Team, darf meinen Traumstudiengang studieren und habe ein tolles Stipendium.”

Ammar Kamel - in Berlin am Bundestag
Ammar vor dem Bundestag in Berlin auf Einladung des Bundestagsmitglieds Pascal Kober von der FDP


Den Leistungssport und das Studium zu vereinen verlangt viel Disziplin und eine gute Organisation. Ohne ein gutes Zeitmanagement würde das nicht funktionieren, ist sich Ammar sicher. Auch wenn keine Prüfungen anstehen, lernt er jeden Tag, damit er in den Prüfungsphasen seinen Sport und seine bis zu 20 Stunden wöchentlichen Trainings nicht vernachlässigen muss. Sein individuelles Training steuert er mit Hilfe von Leistungsdiagnostiken seit über einem Jahr gemeinsam mit dem Diplom Sportwissenschaftler Markus Fischer aus Stuttgart. “Kein Aufwand ist Ammar zu groß und kein Wochenumfang zu hoch. Er ist wirklich bereit jeden Einsatz zu bringen um seinem Ziel dem Profiradsport näher zu kommen.” lobt der Trainer seinen Schützling. Viel Freizeit bleibt bei seinem hohen Trainingspensum und dem Aufwand für sein Studium nicht, aber Ammar sieht das anders. 

“Mein Sport ist ja meine Leidenschaft und das Fahrradfahren macht mir Spaß. Wenn man dann auch noch merkt dass man vorankommt und Erfolge feiern darf, dann ist das um einiges mehr Wert als Freizeit.”


So wird er den langen Weg den er bis hierhin schon gegangen ist, sicherlich erfolgreich weitergehen und für seine Ziele arbeiten. Für alle jungen Sportler und jeden der seinen ganz persönlichen Traum hat, hat der leidenschaftliche Radrennfahrer die klare Botschaft, Mut zu haben an eine Sache zu glauben. 

“Wenn ihr einen Traum oder ein Ziel habt, dann tut alles dafür um diese zu erreichen. Ich will nicht in der Zukunft einmal zurückschauen und denken, hätte ich nur mehr gemacht, dann hätte ich das vielleicht geschafft. Probiert alles und gebt 110%. Schreibt heute die Geschichten, die ihr später euren Kindern und Freunden erzählen möchtet und auf die ihr stolz sein könnt.”

Instagram Channel von Ammar Kamel: 

Foto auf der Startseite - Quelle: Helene Rettig

louisa

Autor

louisa

Autorin und Mitgründerin von Athlet.one

Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung im Spitzensport hat Louisa De Bellis den Durchblick in der Welt der Athlet:innen. Als ambitionierte Handballerin ist sie in der deutschen Sportlandschaft bestens vernetzt, führt Interviews mit Sportler:innen und teilt ihre Expertise auf Athlet.one!