Wenn die großen Träume bereits im Kindesalter das Leben bestimmen, fällt es scheinbar nicht schwer, für seinen Sport bereits in jungen Jahren seine Heimat zu verlassen. Doch egal wie groß die Träume und wie fokussiert die Ziele sind, es ist nicht einfach für eine junge Sportlerin, auf sich allein gestellt das Leben um den Sport herum aufzubauen. Diese Erfahrung hat Fabienne Deprez gemacht, um zu Europa- und Weltmeisterschaften fahren zu können. Die heute 28-Jährige Badmintonspielerin erzählt uns, wie sie diesen Schritt als junge Athletin erlebt hat, und wie sich bis heute ihre Sicht auf sich selbst als Sportlerin und ihr ganz besonderer Kindheitstraum gewandelt hat.
“Ich war schon sehr früh sehr gut. Mit 14 Jahren habe ich die Meisterschaften in der U19 gewonnen und in der Jugend habe ich immer in den höheren Altersklassen mitgespielt, auch international. Da habe ich eigentlich alles abgeräumt.“
Fabiennes Karriere lief schnell an. Mit einem starken Start ab 14 gelang ihr mit 16 Jahren bereits der Sprung ins Nationalteam, mit allem was das mit sich brachte. Wenn auch nur unter einer Bedingung: Sie musste von zu Hause wegziehen.
“Damals hieß es, wenn ich weiter im Kader sein möchte und zur EM, WM und anderen Meisterschaften nominiert werden möchte, dann muss ich in Mülheim trainieren. Zu den Maßnahmen nicht mitgenommen zu werden, wäre für mich natürlich eine Katastrophe gewesen. Deswegen bin ich mit meinem damaligen Vereinstrainer, der später Bundestrainer wurde, von Langenfeld nach Mülheim gegangen. Ich konnte dort zwei bis drei Einheiten die Woche mehr machen im Vergleich zu meinem Heimatverein, da ich zwei bis dreimal auch vormittags trainieren konnte, zusätzlich zu meinem täglichen Training nachmittags.
Ich bin damals in eine eigene Wohnung gekommen und musste die ersten eineinhalb Jahre mein Leben selbst organisieren. Selbst kochen und putzen, das war für ein junges Mädchen, das vom Lande kommt und doch recht behütet aufgewachsen ist, nicht ganz so einfach am Anfang. Ich habe auch öfter daran gedacht, wieder zurück nach Hause zu gehen.”
Und nicht nur die Wohnsituation brachte Schwierigkeiten mit sich. Als jüngstes Mitglied des Teams war Fabienne oft auf sich alleine gestellt.
“Die ersten zwei Jahre waren wirklich nicht leicht, als so junges Mädchen mit den Damen zu trainieren. Die fanden das am Anfang natürlich nicht so toll. Das war eine sehr große Veränderung in meinem Leben und es sind viele Tränen geflossen. Ich bin aber froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, auch mal durch eine Phase gegangen zu sein, die vielleicht nicht ganz so schön war. Ich habe mir gesagt, dass ich weiterhin meine Leistung bringen will. Wobei ich im ersten Jahr erstmal einen Leistungsabfall hatte, weil ich mich einfach nicht wohlgefühlt habe. Irgendwann habe ich aber die Kurve gekriegt. Ich habe immer weitergemacht, wodurch ich ein bisschen zum Einzelgänger geworden bin.”
Mit einem eher kompetitiven und nicht so offenen Umfeld im Sport suchte sich Fabienne zu Beginn ihre Freunde anderswo.
“Ich habe mir ein tolles freundschaftliches Umfeld aus der Schule gesucht. Meine beste Freundin ist noch aus der Schulzeit, wir kennen uns jetzt seit zehn Jahren. Ich habe es bis heute so gehandhabt, dass ich sehr viele Menschen um mich herum habe, die nichts mit dem Sport zu tun haben. Das tut mir einfach gut.”
Natürlich ist Fabienne heute in einer anderen Situation. Doch so früh ins Nationalteam zu kommen, brachte neben den Herausforderungen auch neue Eigenschaften in ihr hervor.
“Besonders hart war für mich der Wechsel in den Erwachsenenbereich. Den Sprung habe ich anfangs nicht richtig verkraftet. Ich habe einfach gemerkt, dass mein Talent, das mich im Jugendbereich so weit gebracht hat, nicht mehr reicht im Erwachsenenbereich. Ich musste erstmal lernen, was es heißt, richtig zu ackern und mich zu quälen.”
Professionelles Badminton bringt zusätzlich zu den üblichen Schwierigkeiten des Sportlerlebens auch noch seine eigenen Risiken mit sich, darunter auch, dass es sich um einen Randsport handelt. Anders als Fußball oder ähnliche Sportarten hat Badminton bei weitem nicht dieselben Finanzmittel zur Verfügung. Doch auch hier hat Fabienne einen Weg gefunden.
“Ohne die Bundeswehr hätte ich das finanziell nie so stemmen können. Wir sind eine Randsportart und müssen viele Reisen, die wir machen, selbst finanzieren: Hotel, Flug, Startgebühren, alles was dazugehört. Deswegen habe ich die Option genutzt, zur Bundeswehr zu gehen und mein Land zu repräsentieren. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Unterstützung bekomme. Es wird auch viel für einen gemacht. Ich kann nach meiner sportlichen Karriere, wenn ich möchte, bei der Bundeswehr bleiben und bekomme auch finanzielle Unterstützung ein paar Jahre nach meinem aktiven Ausscheiden. Es wird geschaut, dass man nachträglich gut versorgt ist mit einer beruflichen Ausbildung.
Für ihr Leben nach dem Sport hat sich Fabienne während einer Knieverletzung und der damit verbundenen erzwungenen Abwesenheit vom Sport entschieden, ein Studium zu beginnen. Doch ein Studium während dem aktiven Leistungssport unterzubekommen, stellt sich oft nicht so einfach dar.
“Das Problem war, dass ich bei der Bundeswehr verschiedene Lehrgänge machen musste. Als es dann wieder richtig losging mit dem Sport, mit dem vielen Training und den Turnieren, war es schwierig, acht Wochen bei der Bundeswehr auf Lehrgang zu sein und jeweils zwei- oder dreimal fünf Tage nach Ansbach zu fahren, also drei Wochen im Training zu fehlen. 50 Prozent Leistungssport, 50 Prozent Uni und dann auch noch dazwischen irgendwie Bundeswehr, das war einfach zu viel. Ich bin nicht der Typ, der Dinge nur halbherzig macht.”
Das heißt aber nicht, dass sie ihr Studium aufgab. Fabienne legte lediglich eine Pause ein, um sich weiter voll auf ihren Sport zu fokussieren. Sie durfte ihre Credits behalten und hat sich jetzt, mit 28 Jahren, entschlossen, wieder zum Studium zurückzukehren, wenn auch entspannter. Die Punkte müssen ja nicht alle auf einmal verdient werden. Und besonders seit einem Bandscheibenvorfall im letzten Jahr ist Fabienne bewusst, dass es nie verkehrt ist, auch einen Plan B zu haben.
“Badminton geht sehr auf die Gelenke, aufs Knie und auf den Rücken. Der Sport zehrt schon am Körper. Ich werde jetzt nicht jünger, mit 28 muss man auch mal schauen, was das Private mit sich bringt. Ich werde dem Sport auf jeden Fall erhalten bleiben. Inwieweit weiß ich noch nicht genau. Ich weiß selber noch nicht, wann ich mit dem Sport aufhören werde.”
Eine Trainerkarriere steht für Fabienne jedoch nicht zur Frage. Ihr Leben war, trotz ihrer Liebe zum Sport, nie nur dem Badminton gewidmet. Und sie meint auch nicht, dass ihr Leben nach dem Leistungssport das sein sollte. Und noch ist ihre Karriere auch nicht vorbei. Ein großes Ziel steht noch: Olympia.
“Das Thema Olympia begleitet mich schon seit ich ganz klein bin. Dadurch, dass ich in einem Verein groß geworden bin, der zwei Olympioniken hervorgebracht hat, war das für mich immer eine große Sache. Als ich im Kindergarten gefragt wurde, was ich werden möchte, habe ich gesagt “Olympiasiegerin”, weil ich dachte, das wäre ein Beruf. Deswegen war für mich klar, ich werde Badmintonspielerin und das wird auch mein Beruf. Ich hatte in meinem Kopf damals nie einen Plan B.”
Im April wäre die Olympia-Qualifikation üblicherweise abgeschlossen gewesen. Zwischenzeitlich sah es für Fabienne sehr gut aus, gegen Ende jetzt wäre es doch vermutlich noch schwer geworden, da nur eine Sportlerin pro Land zu den Spielen fahren kann. Letzten Endes machte aber die Corona-Krise ihrer Chance vorläufig einen Strich durch die Rechnung.
“Seit ich klein war ist das so in meinem Kopf geblieben, dass Olympia für mich ein Lebensziel war. Dass ich das jetzt vielleicht nie erreichen werde, hat mich in den letzten Monaten sehr beschäftigt. Da sind auch diverse Tränen geflossen. Jetzt kann ich aber mit ein bisschen Abstand sagen, dass das Leben weitergeht. Ich bin froh, dass es für mich privat wieder bergauf geht. Zu dem Zeitpunkt, als es mit der Olympia-Qualifikation immer enger wurde, war es auch privat eine schwierige Zeit. Es kam einiges zusammen. Jetzt bin ich soweit, dass ich sage, es gibt auch noch ein Leben nach dem Sport. Das gab es bis zu diesem Zeitpunkt, an dem Olympia wirklich alles für mich war, nicht so. Da habe ich gedacht, das Leben ist dann zu Ende und es gibt nichts mehr, das ich noch erreichen möchte.
Diese eingeschränkte Sicht hat mir viel kaputt gemacht. Ich habe mir nie überlegt, was passiert, wenn ich es nicht schaffe. Da macht sich ein normal arbeitender Mensch keine Gedanken drüber, aber für mich ist tatsächlich eine Welt zusammengebrochen, als ich gemerkt habe, dass das mit Olympia vielleicht nicht klappen wird. Ich konnte zwei Wochen lang nicht mehr die Halle betreten. Ich war nicht in der Lage, meine direkte Konkurrentin zu sehen, Badminton zu sehen, die Trainer zu sehen, die Geräusche von den quietschenden Schuhen zu hören, den Aufprall des Balls auf dem Schläger. Ich habe auf einmal Badminton gehasst. Aber ich wollte auf keinen Fall, dass das so in meinem Kopf drin bleibt, weil Badminton immer schon mein Leben und meine Leidenschaft war. Nur weil ich vielleicht Olympia nicht erreiche, wollte ich mir nicht meine ganze Karriere schlechtreden und kaputt machen.
Deswegen bin ich diesen Schritt gegangen, mich zwei Wochen zu Hause einzuschließen, Freunde und Familie zu treffen und Sachen zu machen, um mich vom Sport abzulenken. Und ich habe es geschafft. Jetzt bin ich so weit, dass ich sage, Olympia ist vielleicht nicht alles im Leben. Ich bin froh und glücklich, gesund zu sein. Meine Familie ist gesund. Ich habe verstanden, dass es auch noch ein Leben abseits des Leistungssports gibt.
Mit etwas Abstand würde ich mich unglaublich freuen, wenn die Qualifikation wieder von vorne beginnt und ich eine zweite Chance bekommen würde. Ich würde mich aber auch freuen, wenn die Turniere jetzt wieder starten und ich weiter eine erfolgreiche Badmintonspielerin sein kann. Auch wenn ich nicht bei Olympia war, bin ich ja deswegen keine schlechtere Athletin, nur weil ich ein großes Turnier nicht gespielt habe. Das zu erkennen, hat lange gedauert und jetzt geht es mir ganz gut damit.”
Und Olympia ist auch nicht das, was Fabienne zu einer guten Athletin macht. Sie kann bereits mit Stolz auf eine starke Karriere zurückblicken. Sei es wie jung sie dem Nationalteam beitreten konnte, oder ihre vierte Saison in einem Pariser Club. Fabienne ist die einzige deutsche Sportlerin ihrer Disziplin, die in einem ausländischen Team spielt. Egal, ob aus Olympia noch etwas wird, zeigt ihre Karriere doch, dass es sich lohnt, die Augen offenzuhalten und zur richtigen Zeit alles zu geben, egal wie schwierig es sich manchmal anfühlt.
Autor
louisa
Autorin und Mitgründerin von Athlet.one
Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung im Spitzensport hat Louisa De Bellis den Durchblick in der Welt der Athlet:innen. Als ambitionierte Handballerin ist sie in der deutschen Sportlandschaft bestens vernetzt, führt Interviews mit Sportler:innen und teilt ihre Expertise auf Athlet.one!