Motocross und Miss-Wahlen. Auch in einem Deutschland, in dem der Rolle einer Frau gesetzlich nichts im Wege stehen sollte, wirken diese zwei Konzepte fast unvereinbar. Doch in beiden dieser Arenen hat Kim Irmgartz über die letzten Jahre auf ihre eigene Art Erfolg gefunden, auch wenn sie das wohl selbst noch vor ein paar Jahren nicht erwartet hätte.
Im Gespräch mit ihr haben wir uns damit auseinandergesetzt, sowie mit ihrem Karrierepfad bei der Polizei, der bis heute unverzichtbar für ihren Motorsport ist. Ihre Karriere in der Sportart geht jedoch deutlich weiter zurück als der Beginn ihrer Polizeilaufbahn.
“Ich habe im Alter von 6 Jahren mit dem Sport angefangen. Ich habe einen zwei Jahre älteren Bruder, der damals damit angefangen hat. Meine Familie war nicht irgendwie vorbelastet mit dem Sport. Mein Bruder scheint es damals irgendwie im TV gesehen zu haben und hat nicht locker gelassen, bis er fahren durfte.”
Ihr Sport, Motocross, gilt trotz ausführlicher Sicherheitskleidung als hochgefährlich. Nicht ohne Grund, Verletzungen sind häufig. Dazu passt Extremsport im Allgemeinen heutzutage bei vielen noch immer nicht ins Frauenbild, etwas von dem Kim ein Lied singen kann.
“Ich werde sehr oft mit Vorurteilen konfrontiert. Das lautet dann unter anderem: “Du siehst nicht aus als würdest du Motocross fahren, ich kann mir dich gar nicht auf einem Bike vorstellen”, oder “Wie, und dann machst du dich da so richtig dreckig?”
Diese Vorurteile finden sich nicht nur beim Motocross. Für Frauen ist es oft allgemein schwieriger, ihren Weg in die Sportwelt zu finden und dort dann auf legitime Akzeptanz zu stoßen. Doch Kim spricht auch von den positiven Entwicklungen in ihrer Arena.
“Ich bin quasi in dem Sport groß geworden und habe gelernt damit umzugehen. Damals gab es nur zwei bis drei Mädchen, die gefahren sind, sodass man automatisch noch etwas besonderer war. Heute sind eigentlich in jeder Klasse und Altersgruppe Frauen am Start, diese positive Entwicklung freut mich sehr. Ich versuche sehr offen damit umzugehen und als Vorbild voranzugehen. Ich gebe Girls-Only-Lehrgänge, um den Mädchen Selbstvertrauen zu geben, aber halte auch Vorträge in Gremien wie beim DMSB (Deutscher Motorsportbund), um da weiterhin eine Veränderung zu bewirken.
Ich möchte die Vorurteile einfach aus dem Weg räumen und den Leuten zeigen, dass man alles sein kann. Ich kann die taffe Frau auf dem Bike sein und mich trotzdem darüber ärgern, wenn mein Fingernagel abbricht.”
Trotz aller Vorurteile hat Kim einiges an Erfolgen verbuchen können. Seit ihrem Start in die Sportwelt, hat sie sich von der regionalen, dann der nationalen Mädchenklasse, bis in die WM vorangekämpft. Leider stehen gewisse Schwierigkeiten immer dem ewigen Anstieg im Weg. Eines der größten Probleme findet sich darin, den Sport zu finanzieren.
“Mir war damals nicht genau klar, dass sich alles ändern würde, sobald ich mein Abitur gemacht habe und arbeiten gehen muss. Allerdings hat sich schicksalshaft dann alles zum Positiven ergeben. Ich bin zur Polizei NRW gegangen und direkt nach dem bestandenen Eignungstest auf die Sportförderung aufmerksam geworden.”
Kim schätzt sich glücklich, einen Platz in der Förderung gefunden zu haben, die üblicherweise nur Olympiasportler unterstützt. Sportarten wie Motocross, die einiges an hochaktuellem Equipment verlangen, sind sehr schwer aktiv umzusetzen, wenn die Unterstützung nicht da ist. Doch in der Polizei hat Kim einen loyalen Helfer gefunden.
“Meine Arbeit ist mein erstes und einziges Standbein. In meinem Sport verdient man kein Geld. Ein WM-Wochenende kostet mich mindestens 500 Euro, wenn es in der Nähe liegt (Deutschland, Niederlande) und die Preisgelder bei der deutschen Meisterschaft sind so gering (maximal 100 Euro), dass man gerade mal sein Spritgeld mit Glück wieder rausbekommt. Ich bin froh, dass ich mal in ein Trainingslager fahren kann oder Mittwochnachmittags für das Training freigestellt werde. Ohne die Polizei könnte ich diesen Sport nicht machen.”
Doch auch die Sportförderung der Polizei hat ihre Grenzen. Zwar gibt es spezielle Ressourcen, die einer Sportlerin hier zur Verfügung stehen, doch nicht ohne Arbeit.
“Wir haben nur eine gewisse Zeit, in der wir unseren Sport, der meistens den Körper sehr belastet, ausführen können. Deswegen ist für mich da ‘dual’ zu fahren das Allerwichtigste.
Die Sportförderung der Polizei ist eine Möglichkeit, den Sport, wenn auch eingeschränkt, weiter machen zu können. Trotzdem sollte man bedenken, dass der Job dort anstrengender ist, als ein reiner Bürojob, und dass der Schichtdienst einem sehr viel abverlangt.”
Gleichzeitig Polizist und Motorsportler zu sein ist eine oft gefährliche Kombination, da es sich bei beiden Pfaden um eine potenziell gefährliche Karriere handelt, die große Konzentration und Ausdauer verlangt.
“Mein Sport ist, wie viele andere, sehr gefährlich. Man muss zu 100 Prozent fit, aber auch mit dem Kopf dabei sein. Das ist leider nicht immer möglich, denn da gibt es natürlich auch noch das normale Leben, Beziehungen, Arbeit und Familie.
Zu allem Überfluss brach ich mir Anfang 2014, ohne zu Stürzen, nach einer Landung eines Sprungs beide Handgelenke. Ein Tiefpunkt würde ich sagen. Ich hatte dann Glück, ab 2014 jemand an meiner Seite zu haben, der den Sport genauso liebt. Und das gab meiner Karriere nochmal einen Höhepunkt, mit einem Top 10 und Top 5 Ergebnis in der Weltmeisterschaft. Heute stehe ich wieder alleine bei den Rennen, aber ich habe es geschafft, mir mithilfe meiner Sponsoren ein gutes Umfeld zu schaffen, sodass ich 2018 und 2019 deutsche Vizemeisterin werden konnte.”
Aktuell will Kim einfach wieder auf ihrem Bike sitzen und wieder Rennen fahren, etwas das in der aktuellen Krise vielen Sportlern verwehrt bleibt. Doch in Polizei, sowie Sport, hat Kim nicht ihre einzigen Erfolge verbucht. Zu ihrer eigenen Überraschung gelang ihr eine Platzierung sehr anderer Art in den Wahlen zur Miss Nordrhein-Westfalen 2020.
“Das war alles eher Zufall, denn ich bin eigentlich nicht das typische Model. Ich bin durch die Influencerin Carmen Kroll „Carmushka“ darauf aufmerksam geworden und habe mir das neue Konzept angeschaut. Miss Germany war auf der Suche nach außergewöhnlichen, starken und vor allem authentischen Frauen und ich habe mich da angesprochen gefühlt. Meine Geschichte hat sie wohl überzeugt und so wurde ich Miss NRW.”
Anders als bei ihren Motocross Wettkämpfen, hieß es für Kim hier nur warten und auf das Online-Votum hoffen. Doch die Geduld zahlte sich aus und ihr Titelgewinn der Miss NRW brachte sie schließlich bis ins Finale um die Rolle der Miss Germany.
“Im Miss Germany-Finale gab es unter den Top 16, also den Missen der jeweiligen Bundesländer, gar keinen Konkurrenzkampf. Es hört sich vielleicht blöd an, aber zum einen hatten wir ja alle schon unseren Titel und waren sehr weit gekommen, zum anderen entschied im Finale eine Jury. Uns war klar, dass dies reine Geschmackssache war. Wir sind alle sehr besonders und einzigartig und haben den Abend einfach genossen.”
Auch wenn Kim letzten Endes nicht mit dem Titel der Miss Germany nach Hause ging, so zeigt ihre hohe Platzierung und Rolle als Miss ihres Bundeslandes doch, dass das Frauenbild, das Deutschland fordert, sich seit ihrer Jugend, in der Motocross für Mädchen nahezu unsichtbar war, verändert hat. Nicht mehr ist die Rolle der Vorzeige-Frau dem traditionellen Bild der Femininität vorenthalten. Wenn selbst Miss-Wahlen beginnen, eine Polizistin und Motocrossfahrerin als repräsentativ für Frauen im ganzen Land zu sehen, dann können wir hoffen, dass der Rest der Welt bald nachzieht.
Bild Startseite: Marc Bremer @mb-mediaworld
Autor
louisa
Autorin und Mitgründerin von Athlet.one
Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung im Spitzensport hat Louisa De Bellis den Durchblick in der Welt der Athlet:innen. Als ambitionierte Handballerin ist sie in der deutschen Sportlandschaft bestens vernetzt, führt Interviews mit Sportler:innen und teilt ihre Expertise auf Athlet.one!