Janine Berger hat über die Jahre hinweg ihr Leben dem Turnen verschrieben. Die heute 24-Jährige kam mit fünf Jahren zum Sport und musste in ihrer Karriere bereits lernen mit Hoch- und Tiefpunkten umzugehen. Im Interview erzählt sie uns von ihren prägenden Ereignissen und wie sie den Weg zu ihrer Leidenschaft immer wieder fand.
“Mit vier Jahren war ich in einer Faschingsgarde bei uns in der Nähe, bei meinem Heimatort. Dort habe ich gemerkt, dass mir das mega viel Spaß macht. Ich wollte aber noch mehr. Mich faszinierten Saltos, Flick Flacks und das ganze Zeug und das wollte ich auch können. In einem Turnverein in unserer Nähe habe ich daraufhin dann ein Probetraining gemacht. Ich hatte direkt enorm viel Spaß beim Turnen und die Trainer dort merkten sehr schnell, dass ich mehr erreichen könnte.”
So kam es dazu, dass Janine schon mit fünf Jahren bei ihrem Verein, dem TV Günzburg mit dem Turnen begann. Schon von Anfang an hatte sie wöchentlich fast tägliche dreistündige Trainingssessions. Nach einem missglückten Wechsel nach München, wechselte Janine mit zehn Jahren nach Ulm, wo sie noch heute aktiv ist.
“Ich habe auch früh Wettkämpfe geturnt. Mit sechs habe ich angefangen und 2009, mit vierzehn bin ich ins Jugendnationalteam berufen worden. 2012 konnte ich mir dann meinen Traum von den Olympischen Spielen erfüllen.”
Olympia ist für viele Sportler eine Art Endziel, die große Sache, auf die man sich seine ganze Karriere vorbereitet. In Janine’s Fall kam es zu dieser Traumerfüllung mit sechzehn Jahren.
“Ich habe Zeitungsartikel gefunden, in denen ich schon mit 7 Jahren gesagt habe, dass die Olympischen Spiele mein größter Traum sind und dass ich da einmal hin will. Es war ein prägendes Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Ich kann definitiv sagen, dass Olympia mein schönstes Erlebnis bisher in meinem Leben war. Das Sprungfinale dann auch noch zu erreichen, war für mich dann schon weit mehr als mein Ziel zu erreicht. Klar wusste ich, dass es möglich ist, aber als ich dann wirklich dort stand und auch noch Vierter wurde, als jüngstes Teammitglied, war das eine Leistung auf die ich auch heute noch stolz bin.”
Mit dem Traum von Olympia bereits als Teenager erfüllt, sah es für Janines Karriere blendend aus. Doch im Leben wie im Sport sind oftmals Hoch und Tief nicht weit voneinander entfernt. Für Janine war dieses Tief eine Reihe schwerer Verletzungen.
“Wenn ich zurückdenke frage ich mich selbst öfter wie ich es aus diesem Tief geschafft habe. Da war mein Kreuzbandriss und gleichzeitig war der Traum von Rio zerplatzt. Zwar wurde ich wieder fit vor Rio, dann kam aber ein Meniskusriss. Wieder kämpfte ich mich zurück, dann warf mich der nächste Meniskusriss zurück. Ich war damals 18, 19, 20, so um den Dreh. Auf einmal fehlte mein ganzer Lebensinhalt. Es gab Tage, Wochen, Monate, da wollte ich nicht mehr aus dem Bett und wünschte einfach, dass jeder Tag vorbeigeht. Ich habe mich in all den Jahren nur durch Erfolg definiert. Wenn man sich nur noch akzeptiert, wenn man Erfolg hat und seine Ziele erreicht, wenn man gar nichts anderes mehr hat, dann wird es in solchen Zeiten enorm schwer. Ich habe damals gesagt: ‘Ich werde nie mehr turnen und das wars jetzt für mich.’ Ich kannte mich selbst nicht mehr. Ich wollte keinen Kontakt mehr. Nicht weil ich es schlimm fand, sondern einfach, weil ich wusste solche Momente werden nicht mehr kommen. Also wollte ich auch mit dem ganzen Sport nichts mehr zu tun haben.”
Auch Ärzte und Trainer sagten ihr damals, dass das wahrscheinlich das Ende ihrer Karriere sein würde. Nach einer Reihe an Verletzungen dieser Art wird der Körper üblicherweise einfach nicht mehr so, wie er davor war. Wenn man sein ganzes Leben von jung auf dem Sport gewidmet hat, kann einen so etwas aus den Wolken reißen. Besonders, wenn dann auch die Unterstützung abreißt.
“Im Turnen ist es allgemein schwierig Partner und Sponsoren zu bekommen. Ich habe natürlich Unterstützung und bin wirklich dankbar solche Partner zu haben, die den Erfolg mit mir feiern, aber auch bei Niederlagen da sind, um mich voll zu unterstützen. Das braucht man finde ich als Sportler auch, den Halt von allen Seiten. Auch, wenn ab und zu der Trainer nicht Hundert Prozent da war. Die Vorbereitung letztes Jahr habe ich ganz allein gemacht. Mein Trainer hat einfach auch nicht mehr dran geglaubt, dass ich es noch einmal zurück schaffe. Es war eben schon meine fünfte OP und er meinte immer: “Man kann noch so stark wollen, wenn der Körper oder das Knie nicht mehr mitmacht wird es schwer.” In der Zeit war es für mich enorm wichtig, dass ich noch einen anderen Halt hatte. Ich hatte dieses Ziel und ich habe alles versucht, um es zu erreichen. Und wenn ich es nicht schaffe, kann ich mir nicht vorwerfen, dass ich es nicht versucht hab. Man braucht einen enorm starken Willen.”
Dieser Wille hat sie durch diese Zeit geleitet. Wenn sie heute auf diese schwierigste Phase ihrer Karriere zurückblickt, ist ihre Perspektive deutlich positiver.
“Ich bin daran auf jeden fall gereift. Man lernt mit negativen Dingen umzugehen und die negativen Dinge ins Positive zu wenden, das bringt mir auch enorm viel im normalen Leben. Früher da waren Wettkämpfe für mich selbstverständlich, dass ich fürs Nationalteam geturnt habe, war zur Normalität geworden. Wenn man das nicht mehr macht oder nicht mehr hat, dann lernt man das zu schätzen.”
Der Sport ist auch nicht alles in ihrem Leben. Besonders im Licht der Zeit, in der ihre Turnkarriere beinahe vorbei gewesen wäre, ist für Janine ein zweites Standbein enorm wichtig geworden.
“Als aktive Athletin macht man sich in jungen Jahren nie so viele Gedanken, aber ich muss sagen, ich habe mich bewusst entschieden, mein Studium anzufangen um etwas in der Tasche zu haben. Man kann vom Turnen einfach auf Dauer nicht leben. Allgemein in Deutschland vom Sport leben ist sehr schwierig, mit ein paar Ausnahmen natürlich. Von daher war es für mich klar, dass ich mir ein zweites Standbein aufbauen muss. Ich kann mein Studium und mein Sport aber ganz gut verbinden. Zum einen, weil mich meine Hochschule Campus M21 extrem unterstützt und dadurch, dass ich von klein auf gelernt habe, wie wichtig ein gutes Zeitmanagement und Strukturierung ist. Und dann ist es schon machbar. Ich denke wenn man etwas will, findet man Wege. Mir ist beides wichtig, mein Sport und meine berufliche Ausbildung.”
Nach dem Sport entspannt in Rente gehen? Für die wenigsten Sportler ist dieser Weg tragbar. Doch der physischen Höchstleistung ist nun mal ein festes Ende gesetzt. Oft bleibt aber während der aktiven Sportlerkarriere nicht sehr viel Zeit übrig, nebenher eine Duale Karriere zu beginnen.
“Ich muss schon sagen, dass das deutsche Sportsystem noch immer optimiert werden kann. Als Leistungssportler ist es fast unmöglich nebenher vollzeit zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Vielen Sportlern geht es dann so, dass man beispielsweise durch Verletzungen gezwungen ist seine Karriere plötzlich zu beenden, und dann fragen sich viele erstmal wie es jetzt weitergehen soll. Das finde ich schon krass. Wenn dieser Moment mit Anfang zwanzig ist, kann man das vielleicht noch gut verkraften, aber wenn man Mitte/Ende zwanzig oder dreißig ist und dann nicht mehr weiß, wie es weitergeht, weil man nichts in der Tasche hat, wird es schon schwierig. Ich finde da sollte es mehr Unterstützung geben als Sportler für den Weg nach der Karriere.”
Schon mit 24 kann Janine heute auf eine Karriere von fast zwei Jahrzehnten im Leistungssport zurückblicken. Auf die Frage, welche ihrer Erfolge sie am meisten geprägt haben, hat sie uns eine sehr interessante Antwort gegeben.
“Rückblickend muss ich sagen finde ich nicht nur die Erfolge prägend, sondern auch die Rückschläge. Ich konnte aufgrund meines Kreuzbandrisses an den Olympischen Spielen 2019 nicht teilnehmen. Ich habe jetzt einige Op’s hinter mir und auch nach den olympischen Spielen 2016 bin ich durch eine Verletzung in ein Loch gefallen. Ich habe damals mit meinem Studium begonnen. Das war für mich ein Schritt in eine andere berufliche Richtung und doch gleichzeitig auch der Weg zurück zu meinem Sport. Ich hatte damals das Glück, einen wirklich super Dozenten zu haben, der sich meine Geschichte etwas genauer anhörte und mich wieder zum Turnen gebracht hat. Ich bin ihm unendlich dankbar, dass ich durch ihn wieder meine Leidenschaft gefunden habe. Ich habe gelernt, dass das Turnen zu meinem Leben gehört, aber nicht mein Leben ist. Als ich das akzeptiert habe und aus dem Loch gekommen bin, hab ich es wieder gewagt in die Halle zu gehen. Und es hat sich mega gut angefühlt und Spaß gemacht. Jetzt wieder die Leidenschaft gefunden zu haben, die mich mein ganzes Leben begleitet hat, ist für mich viel mehr wert, als irgendein Erfolg oder eine Medaille. Ich hatte mir 2019 vor der Universiade wieder den Meniskus gerissen, aber ich hab auch da das Positive gesehen, dass es machbar ist, dass ich schon einige Dinge erreicht habe, auch wenn es für Ärzte unmöglich war. Bei der Universiade habe ich den 4. Platz im Stufenbarren erreichen können. Es ist das wichtigste, dass man einen starken Willen hat und den Glauben nicht verliert.”
Heute kann Janine wieder optimistisch in die Zukunft blicken und ihrer Leidenschaft nachgehen. Während das Turnen für sie eine enorme Bedeutung hat und ihr wirklich Spaß macht, ist es nicht alles, worauf sie sich stützen kann.
“Wie lange ich noch aktiv turnen kann, kann ich gar nicht sagen, aber auf jeden Fall so lange wie möglich, so lange mein Körper es durchmacht, solange ich Lust darauf habe. Aufgrund meines zweiten Standbeins habe ich es jetzt auch gar nicht eilig, ich habe ja jetzt meine Ausbildung. Wenn ich dann irgendwann mal sage, ‘jetzt ist der Zeitpunkt gekommen aufzuhören,’ gehe ich dann einfach über in den Beruf. Da mach ich mir dann auch gar keinen Stress und hoffe, dass es noch viele Wettkämpfe für mich geben wird.”
Autor
louisa
Autorin und Mitgründerin von Athlet.one
Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung im Spitzensport hat Louisa De Bellis den Durchblick in der Welt der Athlet:innen. Als ambitionierte Handballerin ist sie in der deutschen Sportlandschaft bestens vernetzt, führt Interviews mit Sportler:innen und teilt ihre Expertise auf Athlet.one!